Bremer Tauschladen-Märchen
Es gibt einen täglichen Doppel-Missstand, der Sabine Starke-Wulff und Thomas Miksche aus Bremen zu Taten getrieben hat:
1. Containerschiffe vollgepackt mit frisch produzierten Konsumgütern überqueren die Weltmeere. Dabei pusten sie beträchtliche Mengen an CO2 und Schadstoffen in die Luft.1 2
2. Hierzulande stehen bei ganz vielen Menschen zu Hause Dinge herum, die sie nicht mehr nutzen. Manchmal verstauben sie nur, manchmal werden sie aber auch in den Müll geworfen. Dabei gibt es andere Menschen, die nach genau diesen Sachen suchen.
Als Sabine und Thomas, aktiv u.a. bei Bremen im Wandel, 2016 auf das Förderprogramm „Kurze Wege für den Klimaschutz” des Bundesumweltministeriums (BMU) aufmerksam wurden, sahen sie ihre Chance gekommen, in der Nachbarschaft einen Wandel einzuleiten: Sie tüftelten gemeinsam mit anderen das Konzept „Sharing in Findorff“ aus, das auch den Tauschladen beinhaltet. Ein sehr erfolgreiches Konzept, sie überzeugten nämlich nicht nur das BMU, sondern begeistern seit Eröffnung des Ladens „fairTauschen“ im Januar 2018 die Menschen aus ihrem Stadtteil Findorff. Sabine berichtet begeistert: „Die Leute rennen uns die Bude ein: ganz normale Leute, die wir für den Transition- und Klimaschutzgedanken sonst niemals gewinnen könnten! Das ist der große Vorteil des Tauschladens: Der Einstieg in klimafreundliches, postwachstumsorientiertes Handeln ist niedrigschwellig und gleichzeitig revolutionär. Denn fast jede/r hat Dinge zuhause, die nicht mehr gebraucht werden.” Die Bilanz untermalt Sabines Worte beeindruckend: Inzwischen gibt es 827 Anmeldungen, 15185 Dinge wurden zum Tausch abgegeben und 12381 Tauschgeschäfte durchgeführt. Die hohe Nachfrage hat rasch dazu geführt, dass der Tauschladen „fairTauschen“ seine Öffnungszeiten ausweiten musste, nun hat er an fünf Tagen in der Woche für je drei Stunden geöffnet. Im Team arbeiten 13 Ehrenamtliche und zwei Hauptamtliche, je drei müssen pro Schicht im Laden sein, um den Ansturm zu meistern.
Wie das Tauschladen-Konzept funktioniert?
„Im Tauschladen können die Menschen in der Nachbarschaft über die von uns programmierte Software von ihnen nicht mehr genutzte Dinge mithilfe unserer Ladenwährung fairsharies gegen andere Dinge wie Kleidung, Haushaltsgeräte, Bücher, selbstgebackene Brote, selbstgekochte Marmeladen und Säfte tauschen“, erklärt Thomas das Tauschladen-Konzept und führt fort: „Für die getauschten Sachen bekommt man fairsharies gutgeschrieben. Die kann man gegen andere Dinge, aber auch gegen Dienstleistungen tauschen. Du kannst Dir also z.B. beim Entrümpeln helfen lassen oder Deine Fähigkeiten in puncto Fahrradreparatur mit anderen teilen. Aber auch Mitfahrgelegenheiten anbieten oder ein Coaching mit fairsharies erlangen.“ Da der Laden mit seinen 50 m² eine überschaubare Größe hat, gibt es Gegenstände wie z.B. Möbel und Fahrräder, die wir nicht annehmen – sie können von unseren Nutzer*innen aber über das eigene Profil von zu Hause aus eingestellt und getauscht werden. Dass alles ziemlich gut klappt, zeigt die Bilanz: Aktuell wurden bereits 15185 Artikel eingegeben und es gibt rund 20 Tauschvorgänge in der Stunde. Eine aktuelle Übersicht der neuesten Dinge der letzten 7 Tage ist auf www.fairtauschen.de zu sehen. Diese Online-Funktion wird von vielen Leuten genutzt, um gezielt Dinge zu ertauschen, die sie gerade brauchen.
Gleichzeitig können sich die Menschen, die mitmachen, auf dem dazugehörigen Online-Sharing-Portal vernetzen und und nachbarschaftliche Dienstleistungen wie Mitfahrgelegenheiten, Repairservices, vegane Kochkurse, Mithilfe im Garten etc. tauschen. Durch diese Aktivitäten entsteht eine bunte, vielfältige Nachbarschaft und die Leute lernen sich kennen. Schulden kann man übrigens nicht machen. Es gibt nur Guthaben. Auch das wirkt dem Gefühl des Mangels, das uns häufig eingeredet wird, entgegen.
Schöne Effekte
Das Projekt zieht mehrere schöne Effekte nach sich:
1. Das fairTauschen-Team bekommt oft erzählt, dass die Nutzer*innen sich mit den fairsharies auf ihrem virtuellen Konto reich fühlen. Es sei ein Gefühl von: Es ist genug für alle da, und ich kann mir tolle Sachen leisten, die ich brauche oder mir wünsche, oder die mich spontan begeistern, auch wenn ich vielleicht gerade nicht viele Euros auf dem Konto habe. Das lockt die großzügige, freundliche Seite in den Menschen hervor: Unter anderem indem sie häufig wirklich schöne Dinge zum Tauschen in den Laden bringen.
2. Bei all dem Trubel ist es aber auch ein richtiger Wohlfühl- und Begegnungsladen. Man kann Tee- und Kaffee trinken, plaudern, sich austauschen und häufig bringen die Kunden Kuchen oder selbstgemachte Leckereien mit. Es ist wie ein großer Club Gleichgesinnter, und das in-Kontakt-Kommen fällt leicht.
3. Das Gute ist, dass man tatsächlich die Leute erreicht, die bisher vielleicht aus Schwellenangst nicht mitgemacht haben.
4. Findorff hat endlich eine Räumlichkeit bekommen, die von verschiedenen Menschen und Gruppen auf unterschiedlichste Weise genutzt werden kann: Nachmittags, am Wochenende und abends kann der Tauschladen für andere Zwecke wie Workshops, Vorträge, Meetings, Meditationsgruppen etc. genutzt werden. Auch ein Kühlschrank für gerettete Lebensmittel ist im Laden platziert.
5. ...und ganz nebenbei findet ein erster Ausstieg aus der globalen Wachstumsgesellschaft statt, und das mit viel Freude…
Wenn Du jetzt begeistert bist und auch so einen Tauschladen in Deiner Stadt gründen möchtest, melde Dich einfach bei Sabine und Thomas. Ihre Idee floriert in Bremen auf schönste Weise und sie sind sehr daran interessiert, mit Knowhow, Tatkraft und Software die Eröffnung weiterer Tauschläden zu unterstützen und bei der Antragstellung für Fördermittel zu helfen. Aktuell befinden sich Tauschläden in Hamburg, Hannover, Tannroda (Thüringen) und Bremerhaven in der Antragsphase.
Aufdass es bald immer mehr Tauschläden gibt!
Kontakt:
kontakt [at] tausch-konzepte.de
1https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/verkehr/schifffahrt/containerschifffahrt/16646.html
2https://www.greenpeace.de/themen/klimawandel/ursachen-klimawandel/co2-emissionen-der-schifffahrt-bisher-stark-unterschaetzt