Transition-Bewegung: Wohin? Gedanken zur Trainer-Hopkins-Debatte

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Transition-Bewegung: Wohin?

Gedanken zur Trainer-Hopkins-Debatte

von Kolja Mendler

Die Transition-Bewegung hat auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Zulauf. Vielleicht wäre es in der Bewegung jetzt an der Zeit, einige strategische Fragen zu diskutieren, die auf internationaler Ebene schon länger virulent sind.

Der australische Sozialwissenschaftler Ted Trainer hat in seinem Text Die Transition Town Bewegung: Ihre große Bedeutung und eine freundliche Kritik große Besorgnis zum Ausdruck gebracht, wonach die Bewegung Gefahr laufe, in Bedeutungslosigkeit zu versinken, wenn sie nicht die gravierenden globalen Probleme im Blick behalte und klar auf die Überwindung der konsum-kapitalistischen Gesellschaft abziele.

Rob Hopkins, der Initiator der Transition-Bewegung, hat darauf eine Antwort verfasst, die ich hier mit ihren Hauptargumenten vorstellen und kommentieren möchte.

Nachdem er zunächst beteuert, dass er in fast allen wesentlichen Punkten mit Ted Trainer übereinstimme, kritisiert er Trainers Sprache, die eine Sprache sei, wie wir sie in Transition vermeiden. Er bezieht sich dabei auf Formulierungen, mit denen Trainer unmissverständlich klar macht, dass für ihn die Abkehr vom Konsum-Kapitalismus eine notwendige Voraussetzung für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit ist, und dass Menschen, die diese Ansicht nicht teilen, die also meinen, der Kapitalismus lasse sich schon irgendwie reparieren, sich damit in einem gefährlichen Irrtum befinden. Dies sei, meint Hopkins, die früher auch in der Umweltbewegung weit verbreitete Haltung wir haben alle Antworten, und wer uns nicht folgt ist dumm. Vor dieser Haltung müsse man sich aber hüten, und stattdessen einsehen, dass wir alle aus einer Menge von Widersprüchen, Kompromissen, Vielschichtigkeiten und verschiedenen Grundwerten bestehen. Viele Antworten, die wir benötigen, seien bei Menschen zu finden, die wir als Teile des Systems betrachten müssten. Hopkins schreibt, in seiner Stadt gebe es Geschäftsleute, Anwälte, Kirchengruppen, Heimatvereine, Tausende von ganz gewöhnlichen Menschen Manche fühlen sich von einigen Transition-Aspekten angezogen und von anderen nicht, viele haben noch nie davon gehört, anderen ist es egal, und viele von ihnen sitzen zwischen den Stühlen. Macht sie das dumm, müssen alle nach unserem Vorbild leben? Wichtig sei vor allem, dass wir respektvoll und kreativ mit dem Mainstream umgehen.

Hopkins Argumentation entspricht einem Werterelativismus, einer postmodernen Beliebigkeit, wie sie in den 70er- und 80er-Jahre in manchen akademischen Kreisen verbreitet war. Ausgehend von dem Gedanken, dass es keine absolute Wahrheit gibt, wurde da postuliert, dass es keine wahren und falschen Meinungen gebe, dass es deshalb unangemessen sei, zu glauben, die eigene Meinung sei wahr und die des anderen falsch, und das man deshalb alle Meinungen respektieren müsse die Meinungen selbst, nicht etwa nur das Recht der anderen, ihre Meinungen zu äußern. Ich soll die Meinung des anderen als in jeder Hinsicht meiner eigenen Meinung gleichwertig betrachten, auch wenn sie nach meiner Logik völligen Unsinn zum Inhalt hat Philosophisch ist diese Position längst mausetot (die besten Nekrologe kann man bei Habermas nachlesen, z.B. in Der philosophische Diskurs der Moderne), denn irgendwann kam jemand auf den Gedanken, zu hinterfragen, woher denn die Meinung, alle Meinungen seien gleichwertig, überhaupt ihren Absolutheitsanspruch bezieht? Ist sie denn wahr? Nach ihrer eigenen Logik muss sie auch die Gleichwertigkeit ihrer gegenteiligen Meinung akzeptieren, also dass nicht alle Meinungen gleichwertig sind, womit sie sich dann selbst widerlegt

Ich finde es enttäuschend, dass Hopkins der Ansicht ist, wir in Transition müssten einen solchen Relativismus vertreten und deshalb darauf verzichten, klare Positionen zu haben und mit entsprechender Deutlichkeit zu verteidigen. Wenn jemand zu einem Thema eine fundierte Meinung hat und sie mit deutlichen Worten vertritt, dann bedeutet das keineswegs, dass er Menschen mit anderen Meinungen beleidigen, herabsetzen oder nicht respektvoll behandeln würde. (Nebenbei bemerkt: Das Wort dumm (stupid) wurde von Hopkins in die Debatte eingeschmuggelt, bei Trainer taucht dieser Begriff überhaupt nicht auf.) Wir alle ärgern uns doch immer wieder über Politiker, die heutzutage nur noch belanglose Sprechblasen von sich geben, und wünschen uns manchmal die Politiker früherer Jahrzehnte zurück, die ganz unverblümt ihre Positionen vertraten und in ihre Debatten eine erfrischende Schärfe hineinbrachten. Sollen wir auch solche Sprechblasen-Menschen werden, aus Angst, irgendjemand könnte sich von unseren Ansichten auf den Schlips getreten fühlen? Ich wünsche mir in der Transition-Bewegung Menschen mit klaren Meinungen, die ihre Positionen in deutlichen Worten formulieren und auch entsprechende Kritik akzeptieren können und das alles, ohne dass Menschen persönlich angegriffen oder herabgesetzt werden. Dies mag zwar manchmal schwierig sein, aber gewiss nicht unmöglich.

Ted Trainer hat seine Argumentation auf einer strengen Logik aufgebaut: Unser Lebensstil in den reichen Ländern ist in hohem Maße unnachhaltig und ungerecht. Es gibt keine Möglichkeit, dass alle Menschen auf der Erde jemals den Pro-Kopf-Verbrauch an Energie, Bodenschätzen, Holz, Wasser, Nahrung, Phosphor usw. erreichen, der jetzt in den reichen Ländern besteht. Diese Verbrauchsraten sind es, die jene zahlreichen alarmierenden Probleme schaffen, die jetzt unser Überleben bedrohen. Sie sind jetzt schon fünf- bis zehnmal so hoch wie die Raten, die notwendig wären, um den für 2050 erwarteten 9 Milliarden Menschen einen westlichen Lebensstil zu ermöglichen. Die meisten Menschen machen sich keine Vorstellung von dem Ausmaß, in dem wir von nachhaltigem Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung abweichen.

Aus seiner Analyse der globalen Situation zieht der die Schlußfolgerungen:

  • Nachhaltigkeit erfordert den Übergang zu sehr niedrigen Raten des Pro-Kopf-Ressourcenverbrauchs in einer Wirtschaft ohne Wachstum, und dies ist vollkommen unmöglich innerhalb unseres jetzigen Wirtschaftssystems.

  • Deshalb kann eine gute Gesellschaft keine Überflussgesellschaft sein, und sie kann nicht vom Gewinnstreben angetrieben werden. Dies widerspricht offen der Kultur unserer Konsumgesellschaft.

  • Eine Wirtschaft mit dem Schwerpunkt auf Bedürfnisbefriedigung, Rechten, Gerechtigkeit (vor allem hinsichtlich der Dritten Welt) und ökologischer Nachhaltigkeit kann nicht von Marktgesetzen gesteuert werden. Marktgesetze ignorieren Bedürfnisse, Rechte, Gerechtigkeit etc., weil sie nur knappe Güter unter denjenigen verteilen, die am meisten dafür bezahlen können. Zumindest muss der Markt streng reguliert und begrenzt sein.

  • Die Bedingungen der ernsten Knappheit, die uns bevorsteht, lassen uns keine andere Wahl als den Wandel zu kleinen, hochgradig selbstversorgenden lokalen Ökonomien, die partizipatorisch strukturiert sind, was im Widerspruch steht zu den zentralisierten und globalisierten politischen und ökonomischen Paradigmen der Gegenwart.

  • Je mehr der Markt allein regeln darf, desto mehr werden sozialer Zusammenhalt, Gemeinschaft, Kollektivismus und Solidarität ausgegrenzt.

  • Die Grundwerte, die eine gute Gesellschaft antreiben, können nicht individualistisches Gewinnstreben und Konkurrenz sein.

Trainer fordert seine Leser immer wieder auf, sie sollen prüfen, ob seine Analyse fehlerhaft ist, oder ob die daraus abgeleiteten Folgerungen nicht schlüssig sind. Aber Hopkins macht nichts dergleichen. Stattdessen wirft er Trainer vor, dieser würde verlangen, dass alle Menschen unserem Beispiel folgen müssten.

Niemand verlangt, dass alle Menschen in jedem Detail Ted Trainers Permakultur-Selbstversorger-Leben kopieren müssten. Aber ist es wirklich zu viel verlangt, wenn wir erwarten, dass alle Menschen mit offenen Augen die akuten globalen Probleme zur Kenntnis nehmen? Ist es zu viel verlangt, wenn wir erwarten, dass die Menschen, die unsere globalen Probleme erkennen, sich aktiv um Lösungen bemühen, oder zumindest nichts tun, was die Probleme noch verschärft? Ist es respektlos und beleidigend, wenn wir die Menschen, die vor den globalen Problemen die Augen verschließen und behaupten, irgendwie würde schon alles so weiterlaufen wie in den letzten Jahren, unlogisch und unaufrichtig nennen?

Hopkins kritisiert auch, dass Trainer sich für Anarchismus ausgesprochen hat aber dann ist seine eingangs gemachte Feststellung falsch, wonach Trainer auf Hopkins Kritik nicht eingegangen sei, denn in der aktuellen Fassung von Trainers Text ist von Anarchismus keine Rede mehr.

Ein ganz wesentlicher Kritikpunkt richtet sich gegen diese Sätze von Trainer:

Aus der Perspektive, die ich skizziert habe, erscheint das Ziel, unsere Städte resilient (krisensicher) zu machen, alles andere als ausreichend. Das könnte auch wenig mehr bedeuten, als einen sicheren Hafen in einer Welt der Öl-Knappheit zu errichten einen Hafen inmitten einer Gesellschaft, die weiterhin besessen ist von Wachstum, Märkten, der Ausbeutung der Dritten Welt, und Mobiltelefonen mit Tantalum aus dem Kongo.

Hopkins erwidert darauf, er habe noch keine einzige Person in der Transition-Bewegung kennengelernt, die eine solche Hafen-Sicht vertreten würde, im Gegenteil sei ein grundlegender Bestandteil des Transition-Netzwerkes die Erkenntnis, dass es nicht genug ist, wenn nur eine einzelne Stadt die Transition-Ziele verwirklicht. Allerdings geht dies an Trainers Argument vorbei, wie dessen nächste Sätze deutlich machen:

Wenn du protestierst und sagst, dass du nicht nur einen Hafen errichtest, sondern an der Art von Gesellschaft arbeitest, die die Weltprobleme entschärfen wird, dann ist wiederum mein erstes Argument, dass du dies nicht erreichen wirst, solange deine Vision und deine Ziele nicht weit über Komposthaufen und Recycling-Gruppen hinausgehen, und mein zweites, dass du in der Lage sein musst, zu erklären, wie das was du machst einen Beitrag zum radikalen Systemwandel darstellt.

Hopkins redet überhaupt nicht, wie Trainer, von den Weltproblemen, sondern, überspitzt gesagt, von den Synergieeffekten vernetzter Komposthaufen. Aber auch das wäre für Trainer immer noch ein sicherer Hafen innerhalb der westlichen Welt, wenn dabei z.B. die Problem der Dritten Welt ausgeklammert bleiben. Auf solche Fragen geht Hopkins jedoch nicht ein.

Es folgen dann einige Sätze, die ich für ganz entscheidend halte. Hopkins schreibt:

Ich muss deine Ansicht in Zweifel ziehen, dass die Transition-Initiativen zum Scheitern verurteilt sein werden, wenn sie sich nicht explizit dazu bekennen, auf das Ende der konsum-kapitalistischen Kultur abzuzielen. Dem stimme ich nicht zu. Ich denke, es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem, was man in Transition explizit äußert, und dem, was man unausgesprochen lässt.

Hopkins ist also keineswegs gegen Trainers Kritik am Konsum-Kapitalismus er ist nur dagegen, dass in der Transition-Bewegung eine solche Kritik offen ausgesprochen wird! Diese Haltung finde ich extrem problematisch, schon allein aus dem Grund, weil sie nicht funktionieren wird: Man kann solche Überzeugungen nicht geheim halten, und wenn es dann am Ende heißt: Die Transition-Bewegung gibt sich nach außen harmlos, arbeitet aber insgeheim am Umsturz des Kapitalismus, wird der Schaden wesentlich größer sein, als wenn wir uns ganz klar und offen zu einem radikalen Systemwandel bekennen.

Hopkins führt dazu weiter aus: Meine Ansicht ist, wenn wir wirklich Menschen in der notwendigen Anzahl für uns gewinnen wollen, dann würde eine explizite Positionierung gegen Kapitalismus und Konsumismus bedeuten, schon an der ersten Hürde zu scheitern. Trainer habe recht mit dem Ziel, eine radikal neue Wirtschaft aufzubauen, aber dies sei eine gewaltige Aufgabe, für die wir eine große Mehrheit der Bürger auf unsere Seite bringen müssen. Wenn wir schon damit anfangen würden, das Ende des Kapitalismus und Konsumismus zu fordern, würden wir uns von den Geschäftsleuten und Lokalpolitikern isolieren, und das seien Schlüsselfiguren, auf die wir nicht verzichten können. Dies würde Transition zu genau der Bedeutungslosigkeit verdammen, die Trainer im gegenteiligen Fall befürchtet, also wenn Transition sich nicht gegen den Kapitalismus ausspricht.

Ich denke, dass Hopkins mit seinen Befürchtungen nicht auf dem aktuellen Stand ist. Nach einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2010 sind 88 Prozent der Deutschen gegen den Kapitalismus eingestellt und wünschen sich eine neue Wirtschaftsordnung. Diese Menschen brauchen wir in der Transition-Bewegung dringender als den CDU-Bürgermeister und den lokalen Bankdirektor. Natürlich besteht immer das Risiko des Scheiterns, natürlich besteht auch das Risko, an der ersten Hürde zu scheitern aber Hopkins Empfehlung läuft darauf hinaus, aus Angst vor dem Scheitern gar nicht erst zu springen! Doch das wäre einfach nur eine andere Art des Scheiterns.

Es geht Trainer ja nicht darum, dass die Transition-Leute in der Innenstadt Flugblätter verteilen sollen, auf denen das Ende des Kapitalismus gefordert wird diese Strategie wäre in der Tat zum Scheitern verurteilt. Nein, es geht darum, die Überwindung des Konsum-Kapitalismus als Ziel vor Augen zu haben, wenn man in der Stadt konkrete Transition-Projekte startet. Es ist von größter Wichtigkeit, dass wir nicht einfach irgendwas machen, sondern eine klare Perspektive haben, was unsere Projekte bewirken sollen. Ohne dieses Ziel vor Augen wird Transition nicht mehr erreichen als einen Permakultur-Kapitalismus, und die globale Situation bliebe genauso problematisch, wie sie heute ist.

Weiter führt Hopkins aus: Wenn wir über Themen wie (zum Beispiel) Wirtschaftswachstum, Konsum oder Globalisierung reden, versuchen wir das auf eine Weise zu tun, die Menschen, die mit uns in einigen oder allen diesen Themen nicht übereinstimmen, dennoch einlädt, anderen Nutzen in einer Zusammenarbeit mit uns zu sehen. - Dabei übersieht Hopkins offenbar, dass Zusammenarbeit keine eingleisige Angelegenheit ist: Wenn immer mehr Menschen in die Transition-Bewegung strömen würden, die in diesen wirtschaftlichen Fragen wesentlich anders denken als Hopkins oder Trainer, dann würden sie auch die inhaltliche Ausrichtung von Transition ändern, und am Ende würde von der Bewegung nicht viel mehr übrigbleiben als ein Kleingartenverein mit Solarstrom. Und damit wäre dann Trainers Befürchtung eingetroffen, dass von Transition keinerlei Impulse zur Lösung der globalen Probleme ausgehen könnten und wir eine historische Chance verspielt hätten.

Für Hopkins liegt eine Stärke der Transition-Bewegung darin, dass sie nicht von der These ausgeht, Wachstum, der Kapitalismus oder was auch immer seien moralisch bankrott oder ethisch verwerflich. Stattdessen wird gesagt, ihr Untergang sei unter den Gesichtspunkten von Peak Oil und der ökonomischen Krise unvermeidlich, und wir müssten dasselbe kreative Denken, das uns so weit gebracht hat, jetzt anwenden, um einen neuen Weg zu entwickeln. In Gesprächen mit Lokalpolitikern sagen die Transition-Leute, dass solche Ziele wie bezahlbaren Wohnraum schaffen, CO2-Emissionen senken, lokale Wirtschaft fördern usw. mit einem Business-as-usual-Ansatz nicht zu erreichen sind. Aber mit einem Transition-Ansatz könnten die meisten dieser Ziele sehr wohl erreicht werden (abgesehen vom Wirtschaftswachstum!).

Deshalb empfindet Hopkins es als sehr zwiespältig, wenn Trainer schreibt, Transition müsse sicherstellen, dass die Bewegung ausdrücklich, bewusst und vorrangig auf nichts anderes abzielt als auf einen globalen Wandel weg von der konsum-kapitalistischen Gesellschaft. Im Prinzip habe Trainer damit recht, aber wenn Transition sich wirklich ausdrücklich, bewusst und vorrangig darauf konzentriere, dann wurden wir uns in einem selbsterrichteten Ghetto wiederfinden, in dem wir von den meisten Menschen wahrgenommen würden als eine Gruppe von Leuten, die darüber schimpfen, dass sie niemand versteht, und dass die anderen endlich ihre Irrtum einsehen und auf die richtige Seite wechseln sollten . Hopkins ist sehr besorgt, dass die Entwicklung in so eine Richtung gehen könnte. Nach seiner Erfahrung seien die Menschen, die sich der Transition-Bewegung anschließen, in vielen Fällen Menschen ohne einen antikapitalistischen Hintergrund, die sich selbst als unpolitisch sehen würden und von der Transition-Vision begeistert seien.

Ich möchte Hopkins gerne beruhigen, dass von einem selbsterrichteten Ghetto keine Rede sein kann. Vielmehr baut seine Fantasie hier eine Alternative auf, die vollkommen substanzlos ist. Es geht nicht darum, entweder Gemeinschaftsgärten anzulegen oder aber in der Fußgängerzone gegen den Kapitalismus zu agitieren. Davon war nie die Rede, schon gar nicht bei Ted Trainer. Sondern es geht allein darum, ob wir Gemeinschaftsgärten anlegen, weil es langweilig ist, den Spinat alleine zu pflanzen, oder ob wir Gemeinschaftsgärten anlegen, weil wir dies als einen Schritt zu einem neuen lokalen Wirtschaftssystem betrachten. Dies ist ein riesiger, ganz entscheidender Unterschied! Niemand spricht davon, dass wir nur schimpfen sollen, anstatt an konkreten Projekten zu arbeiten. Über diese Projekte werden die Menschen zu Transition kommen, und Hopkins' Angst, eine offene Kritik am Konsum-Kapitalismus könnte sie davon abhalten, ist völlig unbegründet wie gesagt, laut einer Emnid-Umfrage wünschen sich 88 Prozent der Deutschen ein anderes, nicht-kapitalistisches Wirtschaftssystem! Die von Hopkins erwähnte Transition-Vision kann dadurch nur noch deutlicher zum Vorschein kommen. (Nebenbei bemerkt, ist mir vollkommen unklar, wie diese Vision aussehen soll, wenn man versuchen würde, jegliche Kritik am Konsum-Kapitalismus dabei auszuklammern.)

Hopkins geht dann auf Trainers Forderung nach klaren Leitfäden ein und schreibt, er sehe dies als eine Gratwanderung: Nach seinem Verständnis sei Transition ein Katalysator, etwas das die Menschen in Gang setzen und aus dem dann verschiedene Projekte entstehen würden. Dabei lege er Wert darauf, ihnen keine Vorschriften zu machen, weshalb Transition an jedem Ort anders aussehen würde. Er wolle nur die Erfolge und Fehler der Projekte sammeln und den interessierten Menschen diese Erfahrungen zur Verfügung stellen, damit das Rad nicht neu erfunden werden müsse. Dann folgt ein interessanter, an Ted Trainer adressierter Satz: Du beziehst dich auf Transition als eine Richtschnur oder Methode, wir sehen es mehr als einen Prozess. In der Tat ist dies ein aufschlußreicher Unterschied. Eine Richtschnur ist etwas, an dem man sich in seinem Handeln aktiv orientiert, ein Prozess dagegen ist etwas, dem man passiv unterworfen ist. Angenommen, Transition ist ein Prozess was ist dann die Richtschnur, an der die einzelnen Initiativen sich orientieren können? Es gibt keine, und genau das ist ja das von Trainer angesprochene Problem, insbesondere für neu gegründete Initiativen. Mich überrascht es gar nicht, dass, wie Trainer berichtet, mindestens eine junge Transition-Initiative sich schon nach kurzer Zeit wieder aufgelöst hat, weil die Leute einfach nicht wussten, wie und wo sie anfangen sollten. Deshalb sehe ich auch dringend Bedarf nach einer Zusammenstellung von Ratschlägen, welche Projekte vor allem am Anfang sinnvoll und effektiv sein könnten und wie man typische Startprobleme überwindet. Keine Vorschriften, was man machen müsse, aber Tipps, was man machen könnte und was an anderen Orten erfolgreich war.

Schließlich geht Hopkins auf Trainers Thesen zum Regionalgeld ein, insbesondere auf seine Kritik, einfach ein Regionalgeld ohne veränderte Wirtschaftsstrukturen einzuführen, mache keinen Unterschied. Hopkins meint hierzu, Trainer unterschätze den positiven Effekt, dass dieses Regionalgeld einen Anstoß für die Menschen darstellen könne, um über Geld und ihre Beziehung zum Geld nachzudenken. - Ich fürchte aber, dieser positive Effekt wird mehr als aufgewogen durch das Risiko eines grandiosen Scheiterns. Was ich bislang von der Kirschblüten-Währung in Witzenhausen gehört habe, die nicht besonders erfolgreich zu sein scheint, bestätigt alle Befürchtungen Trainers. Er hatte u.a. angemahnt, ein Regionalgeld dürfe nicht mit der Landeswährung konvertierbar sein, weil es sonst witzlos ist (die Kirschblüten können mit Euros gekauft werden). Vor allem aber muss das Regionalgeld das finanzielle Treibmittel für komplette alternative Wirtschaftskreisläufe sein, d.h. ein Geschäft, dass dieses Geld von Kunden annimmt, muss auch die Möglichkeit haben, damit wieder neue Waren zu kaufen. Genau das ist in Witzenhausen offenbar nicht der Fall, weshalb die Geschäftsleute nur schwer zu überreden sind, die Kirschblüten zu akzeptieren sie können ja damit nichts anfangen, außer dass die als Privatpersonen damit im Nachbargeschäft bezahlen, wo die Leute vor dem gleichen Problem stehen. Das ist kein Wirtschaftskreislauf. Damit ist der Hauptzweck des Regionalgeldes nicht erfüllt. Und wenn dieses Experiment irgendwann abgebrochen wird, werden die Menschen daraus die Lehre ziehen: Regionalgeld haben wir ausprobiert, bringt aber nix Aus diesem Grund warnt Trainer: Kein Regionalgeld ohne echten Kreislauf! Zunächst mal muss etwas produziert werden, z.B. Gemüse im Gemeinschaftsgarten, und die Menschen werden für ihre Arbeit dort mit dem Regionalgeld bezahlt. Damit können sie z.B. in einem Restaurant essen gehen, und der Restaurantbesitzer kann mit dem Regionalgeld Gemüse aus dem Gemeinschaftsgarten kaufen. Damit wäre der Kreis geschlossen, aber solange er nicht geschlossen ist, kann das Geld nicht funktionieren.

Ich bedanke mich bei Rob Hopkins und Ted Trainer dafür, dass sie diese wichtigen Fragen aufgeworfen und diskutiert haben. Solche fruchtbaren Auseinandersetzungen sind es, durch die sich die Transition-Bewegung weiterentwickelt.

Quellen

Ted Trainer: http://www.transition-initiativen.de/xn/detail/4645225:BlogPost:49618

Rob Hopkins: http://transitionculture.org/2009/09/08/responding-to-ted-trainers-friendly-criticism-of-transition/

Kommentare

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Vielen Dank, Kolja, für diese Zusammenstellung. Mir tut es gut, mal wieder über
Strategisches nachzudenken.

Spannend finde ich, ob die Trainers und Hopkins die Toleranz aufbringen, sich gegenseitig machen
zu lassen. Es könnte ja auch sein, das es gerade jetzt beide Positionen in der Transition-Bewegung braucht.  Ich glaube deshalb, dass in Transition Platz für beide Positionen sein sollte. Deshalb gefallen mir weder Formulierungen wie "Transition muss klar auf die Überwindung der konsum-kapitalistischen Gesellschaft abzielen" noch "Formulierungen, wie wir sie in Transition vermeiden".

Transition besteht aus Menschen, die "klar auf die Überwindung der konmsum-kapitalistischen Gesellschaft abzielen" und aus Menschen, die in Gemeinschaftsgärten gärtnern, weil das mehr Spaß macht, als es alleine zu tun. Wenn das zusammen genug Leute werden (und ich glaube nicht, dass "genug" hier sowas wie 50% bedeutet, wahrscheinlich reicht
es, wenn wenige Prozent der Menschen bereit sind, dafür etwas zu tun, dass sich ihr Umfeld verändert), dann wird das auf unsere kapitalistische Gesellschaft zurückwirken. Wichtiger ist dabei, was passiert, nicht so wichtig ist, ob die Leute, die das tun, dabei von Anfang an die richtigen Gedanken haben.

Ich glaube, wenn wir eine Chance haben wollen, dass unsere Kinder noch gescheit leben können, wirds mit unserem heutigen Witschafts- und Gesellschaftssystem nicht gehen. Ich glaube aber nicht, dass das wirklich 88% der Menschen in Deutschland heute so sehen und bereit sind, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Sonst kann ich mir zumindest die Wahlergebnisse nicht erklären, bei denen die große "Alles-bleibt-so-wie-es-ist"-Koalition bisher immer noch komfortable Mehrheiten bekommt. Ich glaube, da gibts ein Unbehagen mit dem System und gleichzeitig ganz viel Angst vor Veränderung. Mit Transition haben wir die Chance, diese Angst bei immer mehr Menschen abzubauen. Meine Angst dabei ist, dass es Leute abschreckt, wenn sie ganz am Anfang ihrer persönlichen inneren Transition erfahren, dass sie daran arbeiten, dieses Wirtschaftssystem abzuschaffen.

Dafür teile ich Deine Angst "Wenn immer mehr Menschen in die Transition-Bewegung strömen würden,  die in diesen wirtschaftlichen Fragen wesentlich anders denken als Hopkins oder Trainer,
dann würden sie auch die inhaltliche Ausrichtung von Transition ändern, und am Ende würde von der Bewegung nicht viel mehr übrigbleiben als ein Kleingartenverein mit Solarstrom." nicht. Ich bin aktuell froh über jeden, der mitmachen will, und mit dem ich mich auf irgenein konkretes Projekt, sei es ein
Gemeinschaftsgarten oder der Minuto oder ein Carsharing, einigen kann. Meine eigene Perspektive halte ich dabei für so stabil, dass ich glaube, mit Leuten, die wesentlich anders denken als ich, klarzukommen und meine persönlichen Ziele dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Ob ich es schaffe, Menschen zu überzeugen, dass hinter Transition ein neues Wirtschaftssystem wartet und dass man sich dies sogar wünschen kann, werde ich sehen. Ich bin gespannt drauf und optimistisch.

Ich glaube, wenn, wie im Moment, ein paar Prozent der Transition-Leute sagen, dass sie ein ganz anderes Wirtschaften anstreben und gute 90% dies nicht tun, ist das eine gute Mischung für "Normalos", die sich für Transition interessieren. Sie bekommen schon mit, dass es hier solche Ideen gibt, gleichzeitig ist es aber nicht so aufdringlich, dass es abschreckt.

Beim Regionalgeld würde ich, wenn es sie denn gäbe, auch Systeme bevorzugen, die ohne garantierte
Konvertierbarkeit mit dem Euro funktionieren. Die Probleme dabei sind rechtlicher Natur: Wenn Du Kirschblüten einnimmst und dadurch eine Umsatzsteuerpflicht in Euro entsteht, musst Du Kirschblüten in Euro tauschen können, um deiner Steuerpflicht nachzukommen. Sonst bist Du Steuerbetrüger und/oder pleite.
Umsatzsteuerpflichtige Firmen werden also verständlicherweise mit nicht konvertierbaren Regionalwährungen sehr, sehr vorsichtig sein. Eine rechtliche Änderung, dass das Finanzamt bei eingenommenen Kirschblüten diese auch als Steuerzahlung akzeptieren muss, wäre sehr nützlich, ist aber nicht in Sicht. Vorerst sehe ich da nur zwei Möglichkeiten: Entweder es gibt konvertierbare Regionalwährungen oder Privatleute machen - als Nachbarschaftshilfe - sowas wie den Minuto und Firmen machen halt nicht oder nur in ganz kleinem Umfang mit. Ich fänds super, wenn in der
nächsten Zeit beides passieren würde und wir so beide Erfahrungen machen könnten.
Auf Dauer wird eine Regionalwährung allerdings nur funktionieren, wenn sie Wirtschaftskreisläufe schließt. Das habe ich bei unserem letzten Düsseldorfer Transition-Treffen dank Deiner Argumentation verstanden, und das sollten wir bei unseren Minuto-Aktivitäten berücksichtigen.

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Hallo Thomas,

vielen Dank für dein Feedback. Ich will nur kurz auf deinen Satz eingehen:

" Transition besteht aus Menschen, die "klar auf die Überwindung der konmsum-kapitalistischen Gesellschaft abzielen" und aus Menschen, die in Gemeinschaftsgärten gärtnern, weil das mehr Spaß macht, als es alleine zu tun."

Natürlich ist die Art und das Ausmaß des Engagements bei den Menschen immer unterschiedlich, und das ist auch gut so. Dennoch denke ich, dass es halt einen Unterschied gibt zwischen Urban Gardening und Transition Town. Das ist nicht dasselbe. "Transition Town" zielt, wie der Name schon sagt, auf einen "Wandel" der "Stadt" (also der Gesellschaft auf unterer Ebene) - und so ein Wandel beinhaltet mehr als dass irgendwo Gemüse gepflanzt wird. Versteh mich nicht falsch: Urban Gardening ist eine super Sache, die ich voll unterstütze - aber solange die Leute nicht einen tiefergehenden Wandel wollen, sind die halt eine Urban-Gardening-Gruppe und keine Transition-Gruppe. Ich finde es wichtig, dass man nicht alles in einen Topf wirft ...

Bild des/r Benutzers/in Thomas Oberländer

Hallo Kolja,

ich glaube, wir sind da sehr nah beieinander. Ich denke mir die Menschen, die Urban Gardening machen, als Teil der Transition-Bewegung, egal, ob sie einen tiefergehenden Wandel (schon) wollen oder (noch) nicht. Ted Trainer fühlt sich bei mir ein wenig so an, als ob er solchen Menschen den Wandel vorschreiben will bzw. diejenigen, die sich das nicht vorschreiben lassen wollen, aus Transition ausgrenzen will.

Ohne Menschen, die einen tiefergehenden Wandel wollen, wäre Transition aber nicht Transition.

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Hallo Kolja,

jetzt habe ich mir endlich die Zeit genommen, diese Auseinandersetzung zu lesen, die ich sehr interessant finde.

Ich teile die Meinung nicht, dass diskursive Taktik (als Form)  automatisch zu falschen Inhalten bzw. zum Scheitern von Zielen führen kann. Ich glaube, dass sie EIN anderer Weg ist, nachdem der Weg des "die Dinge beim Namen nennen" gescheitert ist - denn das ist doch genau das, was passiert ist? Ich schließe mich Thomas an: Ich werde über jedeN froh sein, die in den Garten kommt. Ich werde nicht von Konsumkapitalismus sprechen und auch nicht von Suffizienz und Resilienz, sondern ich werde erzählen, warum ich das mache. Wenn es doch so ist, dass die große Mehrheit der Bevölkerung den Kapitalismus abschaffen will (aber Vorsicht mit Statistiken!!!), dann kann jedeR meine Gründe doch nur gut finden, weil sie zur Abschaffung des Kapitalismus abzielen, ohne den auch nur zu benennen.

Was mich von Trainers Vorstellungen interessiert, ist die Anregung, Wirtschaftskreisläufe zu bilden, bevor eine Alternativwährung eingeführt wird. In der Essener TT wird gerade über eine solche Währung nachgedacht, ich werde Trainers Anregung in die Gruppe einbringen, damit wir darüber diskutieren können. Und die Vorstellung von (Minimal)Kooperativen finde ich aufregend. Ich möchte, hoffentlich mit ein paar Gleichgesinnten, herausfinden, ob und wie das gemacht werden kann.

Danke für die Arbeit, die du dir gemacht hast. Ich habe davon erzählt.

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Hallo Simonetta,

vielen Dank für dein Feedback.

Ich würde nicht sagen, dass "der Weg des Dinge beim Namen nennen" gescheitert ist. Da müsste man erst mal ganz genau hinsehen, was aus welchen Gründen wo gescheitert ist. Soweit ich weiß, ist der Transition-Weg in diesem Zusammenhang völlig neu, bei dem man versucht, von unten eine alternative Wirtschaft innerhalb des bestehenden Systems aufzubauen. Früher hieß es ja immer, man müsse erst mal auf die Revolution warten, und erst dann könne sich was ändern. Dieser Weg ist gescheitert, ja, aber ich denke, das lag nicht an dem "Dinge beim Namen nennen".

Dann würde ich auch nicht sagen (und Trainer wohl auch nicht), dass irgendetwas "automatisch" zum Scheitern führt. Es geht vielmehr um das, was ein Freund von mir neulich sehr treffend die "Versuchung der Idylle" nannte: Da haben wir einen wunderbaren Gemeinschaftsgarten, die Blumen blühen und die Vöglein singen, und alle denken: Wir haben es geschafft, das ist jetzt die Transition. Ist es aber nicht - es ist nur ein Baustein der Transition, zweifellos ein wichtiger, aber dennoch bleibt auch außerhalb des Gartens viel zu tun. Das soll nicht heißen, dass ich nicht auch froh wäre über jedeN, der in den Garten kommt, und natürlich kann auch jemand sagen, dass sie/er sich auf den Garten beschränken will - aber es ist ein wesentlicher Punkt der "inneren Transition", dass man sich der Zusammenhänge bewusst ist, dass die Ernte aus dem Garten in die alternativen Wirtschaftskreisläufe einfließt usw. Jede/r leistet seinen Beitrag an seiner jeweiligen Stelle, keiner ist "wichtiger" als der andere, und erst alle zusammen stellen die Transition dar. Wenn man sich dessen nicht bewusst wäre und sich nur stur auf die Gartenarbeit konzentrieren würde, fehlte eine wichtige Komponente.

Es wäre sehr schön, wenn wir das mal in irgendeinem Rahmen persönlich besprechen könnten. In Essen oder anderswo ...

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Ja, es wäre schön und wichtig.

Vielleicht am Freitag, falls du da bist, oder wir finden eine andere Gelegenheit, weswegen ich jetzt nicht weiter kommentiere, sondern.... bis bald!